Da wir im Jahr 2024 auf vielfachen Wunsch eine Albanienreise anbieten möchten, ist es höchste Zeit für eine Rekognoszierungstour. Während knapp 10 Tagen reisen wir durch den Balkanstaat, hier unsere Eindrücke von unterwegs:
Eine Albanienreise per #ZugStattFlug beginnt natürlich schon einiges vor dem Grenzübertritt. Albanien ist von der Schweiz aus am einfachsten via Italien zu erreichen. Eine Nachtzugfahrt führt uns daher nach Bari. Für einmal wählen wir dabei nicht den Nachtzug ab Mailand, sondern den ab Turin – dort hats noch mehr Platz zur Verfügung bei spontaner Buchung, und ein Abend in Turin ist immer nett. Turin erreicht man auch ohne teuren Hochgeschwindigkeitszug (FrecciaRossa) mit Regionalzügen ab Domodossola mit Umsteigen in Novara. Ein Stadtspaziergang in der lauen Abendsonne, natürlich inkl. Apéro, ein feines piemontesisches Znacht, und dann eine geruhsame Fahrt nach Lecce.
Wieso nach Lecce? Wir waren noch nie dort, möchten noch ein wenig Italien geniessen – und die Abfahrtszeit der Fähre am Abend ab Bari, das ja ganz in der Nähe ist, passt uns besser. Ein Aufenthalt in dieser Barockperle lohnt sich ohnehin, und sei er noch so kurz. Nach wenigen Stunden bringt uns der Zug nach Polignano a Mare für einen kurzen Stopp – dann gehts weiter nach Bari. Wir erhalten den Eindruck, dass fast jede/r, mit dem/der wir sprechen, im vergangenen Sommer in Albanien war. Das Land ist definitiv zum Reiseziel für viele Italiener*innen geworden.
Die Fährüberfahrt, vor der man – betrachtet man die Google-Rezensionen – vielleicht negativ voreingenommen ist, ist im positiven Sinne ereignisarm. Bargeld nicht vergessen, und aus der Schweiz unbedingt ein paar Euromünzen oder -scheine mitbringen; die Bordverpflegung ist zwar nicht zu empfehlen (besser in Bari speisen vor der Abfahrt), aber vielleicht möchte man ja mit einem Bier auf die bevorstehende Reise anstossen.
Am nächsten Morgen erblicken wir die Skyline von Durres, kommen pünktlich im Hafen an, widmen der Stadt dieses Mal aber keine Zeit, sondern fahren mit dem erstbesten Minibus in die Hauptstadt Tirana. (Es gäbe eine Bahnlinie, auf der bis vor wenigen Jahren ab und zu Züge mit Begegnungszonen-Tempo – also etwa 20-30km/h, wenn überhaupt – verkehrten; der Hauptstadtbahnhof wurde jedoch geschlossen, und die Linie wird, mit unklarem Enddatum, saniert). In Tirana machen wir einen Spaziergang von der Busstation, von wo die Busse nach Durres und an die albanische Riviera fahren, zur Busstation, die den Nordosten des Landes bedient. Unser nächstes Ziel ist der Ohridsee.
Mitten durch die Berge, an Elbasan (wo wir im Vorbeifahren die spektakulären Street-Art-Gemälde/’Murales’ bewundern) vorbei, mit einem kurzen Stopp zur Verpflegung bei einem Strassencafé erreichen wir nach etwa 3 Stunden Fahrt den Ohridsee. Der Ohridsee ist einer von weltweit nur wenigen Langzeitseen, die mehr als eine Million Jahre überdauerten. Hier in der Nähe haben Forscher u.a. der Uni Bern vor kurzem die ältesten Pfahlbauersiedlungen Europas entdeckt – herausragende Zeugen der Ausbreitung des Ackerbaus und der Sesshaftigkeit! In Pogradec nehmen wir ein Bad im noch sommerlich warmen See – im Unterschied zur Sommersaison haben wir den Strand quasi für uns alleine. Von Pogradec aus erreichen wir bald Korça, wo wir in der ‘Villa Borghese’ übernachten. Ein Abendessen in einem traditionellen Restaurant und ein Spaziergang durch das alte Händlerviertel, das komplett restauriert wurde und heute touristisch genutzt wird, runden den Tag ab.
Die Angaben zum ÖV, die man online findet, sind in Albanien immer mit einer Portion Vorsicht zu geniessen. Der von uns anvisierte morgendliche Bus ins Tal des Vjosa-Flusses, nach Permet, existiert nicht. Das ermöglicht uns, noch für ein paar Stunden Korça zu geniessen, insbesondere die Atmosphäre am Markt, wo alles, von Landmaschinen über heimisches, sonnengereiftes Gemüse bis zu selbstgefangenen Singvögeln im Käfig verkauft werden. Dann fahren wir los Richtung Permet, aufgrund von Bauarbeiten und mangelnden Asphaltbelags oft mit nicht viel mehr als Schritttempo. Dafür hat man mehr von der Aussicht auf das Grenzgebirge zu Griechenland (in Fahrtrichtung links). Der Linienbus dient dabei auch als informelles Post- bzw. Kuriernetzwerk: was hier nicht alles ein- und ausgeladen wird! Menschen stehen auf die Minute pünktlich an der staubigen Schotterstrasse, um Bestellungen wie Milch, Kleidung, oder gar einen Mini-Pizzaofen entgegen zu nehmen. Auch die Töchter eines Agro-Tourismusbetriebs weiter unten im Tal nehmen Platz im Bus – sie wurden von den Eltern, die nichts von der Schule in Leskovik (wo wir bald ankommen) halten, in eine weit entfernte Schule geschickt, nutzen den Bus als Schulbus – und profitieren von der Gelegenheit, mit allen Tourist*innen ihr bereits sehr gutes Englisch zu üben.
Kräftig durchgeschüttelt, erreichen wir das Gebirgsstädtchen Leskovik nahe der griechischen Grenze. Hier wird auch bereits Griechisch gesprochen. Wir entscheiden uns spontan zur Übernachtung – in einer Destillerie neben einer uralten Platane. Ein kurzer Abendspaziergang führt uns zwei-drei Strassenserpentinen bergaufwärts, wir geniessen den Sonnenuntergang und das 180°-Panorama mit Blick sowohl auf den Bergzug, der das Vjosa-Tal nach Süden abriegelt, als auch auf das Massiv des Smolikas/Grammos in Griechenland.
Am nächsten Tag gehts von Leskovik Richtung Vjosa. Aber auf Empfehlung unseres Gastgebers planen wir zuerst noch einen Abstecher zu den Sarandaporos-Thermalquellen (ein echter Geheimtipp, hier könne man ein Schwefelbad an/in einem Grenzfluss zu Griechenland nehmen). Wir machen uns zu Fuss auf den Weg – werden aber alsbald von der Polizei aufgegabelt. Sind wir etwa unerlaubterweise auf der falschen Strassenseite marschiert? Oder eine verbotene Grenzzone betreten? Oder mögen sie unseren Autostoppversuch nicht goutieren? Nichts davon – an diesem Morgen ist die muntere Truppe unser Freund und Helfer, und nimmt uns mit auf ihre Patrouille, die zufälligerweise genau an unser Ziel führt – und sogar noch ein paar Meter weiter: Im geländegängigen Landrover, der immer wieder mit seinem Alter zu kämpfen hatte, erhalten wir so eine Exkursion entlang des Sarandaporos bis in eine kleine Schlucht, die sich bereits auf griechischem Gebiet befindet. Aber wir sind ja mit der Grenzpolizei unterwegs, somit kein Problem!
Nach dem Bad gehen wir, schön geschwefelt, zu Fuss zurück..der Weg scheint uns viiel länger als auf der Hinfahrt. Ein Gewitter zieht auf – buchstäblich in der letzten Sekunde haben wir erneut Autostopp-Glück, drei abenteuerlustige BelgierInnen lassen uns sich in ihr bereits ziemlich beladenes Mietauto quetschen. Nun sind wir endlich an der Vjosa – allerdings ist sie selbst am berühmten Viewpoint durch die Bindfäden des herunterprasselnden Regens kaum zu sehen. Als sich nahe der Stadt Permët der Regen lichtet, sehen wir den ungezähmten Gebirgsfluss – Kommentar der Belgierin: “it’s not so wild, I thought it would be wilder”.
Permët ist Ausgangspunkt für Riverrafting- und Wandertouren, und selbst Mitte Oktober noch voller Tourist*innen. Am zentralen Platz sieht man sich jeweils wieder, die älteren Bewohner der Ortschaft gehen in bester Sonntagskleidung spazieren; spannend insbesondere die in einem Holzanbau an einen sozialistisch-klassizistischen zerfallenden Bau eingepferchte orthodoxe Kirche, wo unter beängten Platzverhältnissen ein Gottesdienst zelebriert wird. Wir spazieren der Vjosa entlang durch die Hügel, flussaufwärts. Auf der ganzen Wanderung werden wir von der aus einem Hochzeitslokal dröhnenden Musik begleitet. Eine kleine Beiz direkt an der Vjosa lädt zur Stärkung mit Souvlaki, Tzatziki und Mythos-Bier ein. In der Nähe befindet sich ein weiteres natürliches Thermalbad an einem Nebenflüsschen der Vjosa, im Unterschied zum Vortag hier mit hunderten Tourist*innen, aber auch Einheimischen, die das Wochenende geniessen. Malerisch – aber eindeutig überlaufen, selbst jetzt am Ende der Saison.
Ein ganz besonderer Ort ist das kleine Dorf Leuse, ein halbstündiger Fussmarsch von Permet entfernt. Hier befindet sich eine sehr sehenswerte orthodoxe Kirche, deren Bemalung die Zeit des radikalen Atheismus überdauert hat. Ein Dorfbewohner hat den Schlüssel und lässt uns Touristen rein, während er draussen eine-zwei Zigaretten raucht. Von Leuse aus lässt sich auch eine Wanderung über den Bergkamm ins parallel zum Vjosa-Tal verlaufende Zagoria-Pass unternehmen; der nicht allzu hohe Dhembel-Pass lässt sich über einen allerdings recht steilen Bergpfad erreichen. Unser Guesthouse bietet eine Aussicht über das ganze Tal, unter einem Granatapfelbusch erhalten wir unser Nachtessen serviert – das Gastgeberpaar hat hier eine wunderbare Oase geschaffen.
Vorbei an Tepelene – Geburtsort des berühmt-berüchtigten Ali Pascha – gehts nun per Bus nach Gjirokastra. Wer schon Romane Ismail Kadares gelesen hat, dem kommt diese Stadt aus Stein sicher bekannt vor. Wir besichtigen das Kadare-Museum und das ethnographischen Museum im rekonstruierten Geburtshaus des Diktators Hoxha. Während eines Kaffees sehen wir dem Abdrehen eines Musikvideos zu: Utensilien aus vergangenen Jahrzehnten werden angeschleppt, eine sehr junger Geiger unter einer Säule auf einem Hügel platziert, eine Drohne steigt in die Luft und der Sänger setzt sich in Szene ..
Und dann brechen wir auf Richtung Griechenland. Linienbusse fahren selten, auch wenn der Bedarf zweifellos vorhanden wäre. Deshalb nehmen wir ein Taxi an die Grenze, überqueren diese zu Fuss, und warten auf den griechischen Bus der KTEL, der uns bald abholt und ein paar Kilometer weiter an einer Strassenkreuzung nahe Konitsas absetzt. Eine Stärkung (mit Souvlaki – what else? – sowie griechischen Köstlichkeiten zum Dessert) muss sein, erneut wagen wir unser Glück beim Autostopp. Ein Handwerker hält an, und fährt uns bis ins Stadtzentrum von Konitsa. Auf dem Weg ist der Blick auf das Tymfi-Massiv ein Wow-Moment, wir werden diesen Berg am nächsten Tag noch von etwas näher sehen. Da entfernte Verwandte der Frau des Handwerkers auch in der Schweiz wohnen, will er uns unbedingt auch seiner Frau vorstellen, schliesslich landen wir in seinem Garten zu einem Getränk. Ah, wir seien aus Albanien, aus Leskovik angereist? Er habe da einen Freund. Und kaum mehr als eine Minute später kreuzen wir diesen auf unserer Fahrt. Eine sehr sympathische Begegnung.
Konitsa war im griechischen Bürgerkrieg umkämpft; General Markos versuchte sie mehrfach erfolglos einzunehmen und zur Hauptstadt eines – kommunistischen – nordgriechischen Staates zu machen. Der Höhenunterschied zwischen dem Talgrund – wo sich, direkt neben einer alten Brücke unser Hotel befindet – und dem Zentrum des Dorfes bergaufwärts ist beträchtlich und sorgt sicher für eine gute Grundfitness bei all denjenigen, die kein Auto besitzen. Das sei einer der kältesten Flüsse überhaupt, warnt man uns, was uns aber nicht von einem Bad in der Abendsonne abhält. Am nächsten Tag wandern wir entlang des kristallklaren Voidomatis-Flusses während ein paar Stunden flussaufwärts, und landen im Dorf Vikos – mit grandioser Sicht auf die gleichnamige Schlucht, und das Tymfi-Massiv. Bevor uns das Taxi zurück nach Konitsa führt, nehmen wir ein Zvieri mit Sicht auf die Orte in Albanien – Leskovik, das Vjosa-Tall, das Nemerecka-Massiv – wo wir die Tage zuvor waren.
Es heisst an die Heimreise zu denken; wir entscheiden uns, da wir nun schon in Griechenland sind, für eine Rückreise per Fähre via Igoumenitsa. Deshalb fahren wir per Bus nach Ioannina, der Metropole von Epirus, letzter Rückzugsort des aufständischen Ali Pascha (dem aus Tepelene). Eine Bootstour auf dem See liegt zeitlich nicht mehr drin – aber ein Nescafé-Frappe natürlich schon. Im Sonnenuntergang bringt uns ein weiterer Bus ans Mittelmeer. Igoumenitsa ist alles andere als sehenswert, aber als letzter Stopp vor dem Einchecken auf der Fähre geniessen wir den Abend bei griechischem Essen und einem Cocktail.
Am nächsten Morgen treffen wir pünktlich in Bari ein, wir haben sogar genügend Zeit fürs Zmörgele, bevor wir mit Hochgeschwindigkeit zurück in den Norden fahren – stundenlang entlang der Adria, bei Rimini dann landeinwärts nach Milano, durchs Tessin und, aufgrund Sperre des Basistunnels, wieder einmal am Chileli von Wassen vorbei, lassen wir die vergangenen 10 Tage Revue passieren. Albanien sieht uns bald wieder, soviel ist gewiss – zu entdecken gibt es eine Menge!