Jahresrückblick 2022 – Teil 2: Reise ins Baltikum

An einem Freitagabend Mitte Juli gings dann endlich los auf unsere erste Reise im Jahr 2022: sie führte uns ins Baltikum. Man besammelte sich am Bahnhof in Basel – was passte, denn zwei Drittel der Mitreisenden stammten aus Basel – zu einem ersten Kennenlernen beim Kaffee, bevors dann hiess: alle einsteigen! Am Samstagmorgen kamen wir in Berlin an, die einen ausgeruhter, die anderen weniger .. Kilian begrüsste die Gruppe – wir stärkten uns bei einem Frühstück im Hauptbahnhof mit Kaffee, Brötchen und etwas Süssem, einige nutzten die Zeit für einen Spaziergang einmal Brandenburger Tor und retour – bevor uns Kilian verabschiedete und wir Richtung Warschau fuhren.

Eine gemütliche Fahrt, zu einem guten Teil im Speisewagen. Mit einem weiteren Umstieg gelangten wir ins polnische Bialystok. Mit wunderbaren Pierogi zum Abendessen lauschten wir noch ein paar Takte Musik beim Openairkonzert, das an diesem lauschigen Sommerabend stattfand, und ruhten uns dann im Hotel Esperanto aus.

Am nächsten Morgen gings nach Litauen – der Taxifahrer, der einen Teil der Gruppe nach Kaunas fuhr, konnte es kaum fassen, obwohl sehr nahe gelegen, war er selbst zuvor noch nie in der europäischen Kulturhauptstadt 2022. Terese, eine Dozentin der Uni Kaunas, führte uns in die spannende Geschichte dieser Stadt ein. Sie zeigte uns während eines ausgedehnten Spaziergangs verschiedene Facetten ihrer Stadt, wir genossen den Sonnenaufgang am Fluss Nemunas; abgerundet durch georgische Speisen ein wunderbarer erster Reisetag im Baltikum!

Kaunas weist jedoch neben aller Schönheit auch beklemmende Seiten der Geschichte auf; wenige Kilometer vor der Stadt gelegen, ist das IX. Fort während des 2. Weltkriegs zu einem der furchtbarsten Orte der Massenverfolgung und -vernichtung geworden. Das Museum des IX. Fort war geschlossen, doch die bedrückenden gigantischen Betonskulpturen aus sowjetischer Zeit, die den Opfern der Vernichtung an diesem Ort gewidmet sind, vermittelten in Kombination mit dem Gelesenen, den Inschriften und Infotafeln ein Bild der hier verübten Verbrechen.

Von Kaunas gings – mit einem Zwischenstopp im besuchenswerten Loko Café in Lentvaris – weiter in die alte litauische Stadt Trakai. Touristenmagnet ist hier vor allem die (rekonstruierte) mittelalterliche Wasserburg; doch mindestens ebenso spannend ist die Geschichte der Minderheit der Karäer, einer turksprachigen ethnisch-religiösen Gruppe, von denen einige Dutzend noch heute hier leben. Es traf sich ausgezeichnet, dass unsere Gastgeberin in einem karäischen Restaurant selbst so einiges zu erzählen wusste!

Am frühen Abend gings weiter nach Vilnius, der litauischen Hauptstadt. Einige liessen es sich nicht entgehen, einem Openair-Konzert zur Feier des 699-Jahre-Jubiläums der Stadt beizuwohnen, mit litauischen Popstars und einem launischen eingeflogenen Weltstar (bekannt aus Spotify). Der Schweizerische Übersetzer Markus Roduner führte uns am nächsten Nachmittag durch die literarische Geschichte Litauens und Vilnius’, wir landeten am Schluss bei einem Bier im malerischen Viertel Uzupis.

Vilnius-Daugavpils, das war die nächste Etappe, so weit es ging (bis an die litauisch-lettische Grenze) mit dem Zug, weiter per Bus dann ins ehemalige Dünaburg, der lettischen Stadt im Osten des Landes, wo viel Russisch gesprochen wird. Unter anderem der Kunstmaler Mark Rothko stammt von hier. Der majestätische Fluss Daugava und vor allem dann die sehr dünn besiedelte Seenlandschaft im Osten Lettlands faszinierten!

Nach dem Besteigen eines der höchsten Berge Lettlands (ohne Sauerstoff!) landeten wir in Rezekne, wo uns eine besondere Perle erwartete: eine von einst vielen Synagogen in dieser Kleinstadt, und zwar eine hölzerne. Behutsam restauriert, ist sie heute ein Kleinod, das sich aus einer Zeit erhalten hat, wo Rezekne eine mehrheitlich jüdische Bevölkerung hatte.

Noch war das Ziel der heutigen Tagesetappe nicht erreicht: wir hatten den Schmalspurzug Gulbene-Aluksne zu erreichen, im Nachhinein eines der Highlights der ganzen Reise! Durch die Landschaft zuckelnd, stellt diese kurze Strecke den Rest eines einst ausgedehnten (Schmalspur-)Bahnnetzes dar. Wunderbar begleitet vom Zugpersonal und zwei unterwegs zugestiegenen Musikanten fährt man bei Tempo 30, in unserem Fall mit Trompetenklängen untermalt, durch die Moor- und Waldlandschaft. An der Endstation angelangt, wartete ein saftiger Burger auf uns im Bahnhofsrestaurant!

Von Lettland nach Estland ins Setomaa – das war die nächste Etappe: Die Seto sprechen eine dem estnischen nah verwandte Sprache, und sind im unterschied zu den meisten ethnischen Esten orthodox. Wir sahen uns eine kleine hölzerne Kirche an, die von einer älteren Seto-Frau liebevoll gepflegt wird, und wohnten im Museum einer Einkleide-Zeremonie bei, indem eine Teilnehmerin unserer Reisegruppe in eine traditionelle Seto-Tracht eingekleidet wurde – was ziemlich aufwendig ist! Heute sind die Seto leider durch die Grenze mit Russland geteilt, und können ihre Kirchen und die Grabstädten ihrer Verstorbenen oft nicht mehr besuchen.

Eine Nacht und ein Tag am Peipus-See, einem der grössten Seen Europas – Velotour durch die Landschaft, und den Sandstrand geniessen mit Beachvolleyball, Lesen, Standup-Padeln.

In Tartu, der zweitgrössten estnischen Stadt, verbrachten wir zwei Nächte; den Tag dazwischen verbrachten wir in Viljandi am schönen Folkmusic-Festival: gute Musik aus der ganzen Welt auf dem Gelände der Burgruine des Deutschen Ordens und darum herum. Wir hörten uns Bands aus Israel, Norwegen, Finnland, Estland, Schottland, .. an.

Und dann gings ab auf die Insel: die Ostseeinsel Kihnu beeindruckte mit dem Naturschauspiel ihres Sonnenuntergangs!

Von Kihnu via die estnische “Sommerhauptstadt” Pärnu mit dem komfortablen Linienbus nach Riga. Die grösste Stadt, die wir unterwegs besuchten, und zweifellos auch wert, eine ganze Woche besichtigt zu werden! Alleine die Jugendstilbaudenkmäler.. Nach einem Einblick durch eine sachkundige Stadtführerin am Vorabend erkundigten am nächsten Tag alle die Stadt und Umgebung auf eigene Faust: Marktbesuch, Okkupationsmuseum, Museum der Volksfront, Orgelkonzert im Dom, die berühmten lettischen Streuselkuchen, oder ein Schwumm am Strand von Jurmala..es wurde bestimmt niemand langweilig in der lettischen Hauptstadt!

Ein Abstecher in ein Moor muss auf einer Baltikumsreise auch sein: in Kemeri kann ein Moor auf einem Holzpfad besucht werden, ohne sich die Schuhe nass zu machen. Nach Kemeri peilten wir unseren letzten Übernachtungsort auf dem baltischen Festland an – die Spitze der Halbinsel Kurland. In Kolka, dem ehemaligen livischen Fischerdorf bestaunten wir den Sonnenuntergang. Und speisten in den Baumwipfeln des Ostseestrands: tafeln zwischen Föhren an der frischen Luft – wie schön!

Mit dem Bus die Küste runter, ein kurzer Stopp in Mazirbe, einen Blick ins livische Kulturzentrum werfend: die Liven sind eine Minderheit Lettlands mit vor kurzem ausgestorbener Sprache; das kulturelle Erbe wird jedoch gepflegt, etwa an Summer schools wie der, die gerade stattfand. In Irbene sieht man mitten im Wald ein sowjetisches Radioteleskop auftauchen, das heut noch genutzt wird. In Ventspils – Hafenkranromantik! Und schon sind wir in Liepaja, der Endstation unserer Reise: nochmals ein Bad am Ostseestrand (ein wenig bevölkerter als der von Kolka) .. und: ab auf die Fähre nach Travemünde (Lübeck)! Transfer nach Hamburg am nächsten Abend – je nach gewählter Option direkte Fahrt nach Basel, oder eine Nacht in Hamburg – und wir sind am Ende unserer Baltikumsreise 2022 angelangt!

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